Die Zivilstation im Referendariat (BaWü)

Ein Erfahrungsbericht

Dauer:

Die Zivilstation ist in Baden-Württemberg die erste Station im Ref. Sie geht insgesamt 5 Monate. Da ich das Referendariat im Oktober angefangen habe, gingen allein wegen der Weihnachtszeit 2 Wochen verloren. Hinzu kamen weitere 2 Wochen, in denen mein Ausbilder im Urlaub war sowie 3 Wochen Einführungslehrgang, sodass ich netto knapp 3 Monate in der Zivilstation hatte.

Ablauf:

Die Station fängt mit einem dreiwöchigen Einführungslehrgang an. Das erste Kennenlernen fand dagegen das erste – und bisher auch das letzte – Mal in Präsenz am Landgericht statt. Dort lernten wir alle Referendare der AG sowie unsere Ausbildungsleitung persönlich kennen. Nach einem kleinen Rundgang durch das Amts- und Landgericht gab es eine organisatorische Einführung, bei der am Ende nochmal alle Fragen beantwortet wurden. Generell empfand ich den Start ins Referendariat – trotz anfänglicher Nervosität – als relativ entspannt. Im Gegensatz zur Uni war vieles um einiges besser organisiert und geplant. Man weiß ab Tag 1, was die nächsten zwei Jahre auf einen zukommt. Die Angst, „ins kalte Wasser geschmissen“ zu werden, ist also völlig unbegründet. Fragen rund um Urlaub, Vergütung, Ansprechpartner, Klausuren, etc. werden einem beantwortet. Am ersten Tag des Einführungslehrgangs erfährt man übrigens auch, welchem Ausbilder man zugewiesen wurde. Dafür musste man vorab, vor Beginn des Referendariats, seine Wahl abgeben (dazu kam ein extra Schreiben vom Landgericht). Die meisten in unserer AG wurden auch ihrem Wunschort entsprechend zugeteilt – je nach Kapazität natürlich. Ich habe mich für das Amtsgericht in meiner Nähe entschieden und wurde dort auch zugeteilt.

Der restliche Einführungslehrgang fand online im Wechsel – Beginn 8:30 Uhr oder 13:30 Uhr – für jeweils 4 Stunden viermal die Woche statt. In dieser Zeit wird das Zivilprozessrecht durchgekaut. Keine Angst – Vorkenntnisse werden dafür nicht vorausgesetzt! Unsere Ausbildungsleiterin hat uns ganz am Anfang extra darauf hingewiesen, dass wir bei 0 anfangen, weil natürlich jeder auf einem anderen Wissensstand ist und so gewährleistet werden soll, dass alle gleich gut mitkommen. Das hat die ersten 3 Wochen ganz angenehm gestaltet, auch wenn viel Neues hinzukam. Es war ein bisschen wie in die gute alte Schulzeit zurückversetzt zu werden.

Nach dem Einführungslehrgang ging es in die Praxis zum Ausbilder. In dieser Zeit findet einmal wöchentlich für je 4 Stunden online Unterricht (AG) statt. Es werden unterschiedliche Themen bzgl. Der ZPO besprochen, u.a. vorläufige Vollstreckbarkeit, einstweiliger Rechtsschutz, Beweisverfahren, Streitwert, Zuständigkeit des Gerichts, usw. Im Rahmen der AG-Veranstaltung werden in regelmäßigen Abständen auch Klausuren vom Ausbildungsleiter ausgeteilt, die wir unter möglichst realen Klausurbedingungen (d.h. 5 Stunden Schreibzeit und nur mit den zugelassenen Hilfsmitteln) schreiben sollen.

Die Station:

Die Station an sich hat mir sehr gut gefallen. Obwohl ich mir persönlich nie vorstellen konnte, Richterin zu werden, muss ich sagen, dass der Beruf doch seine Vorzüge hat. Man bekommt einen sehr guten Einblick in den Berufsalltag, den man so während eines Praktikums bspw. nie erhalten würde. Mein Tipp: Nimmt so viel mit, wie ihr könnt! Fragt nach, wenn ihr etwas nicht versteht und kommuniziert mit eurer/eurem Ausbilder/in. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass es mir so viel Spaß machen würde, jedes Mal bei den Verhandlungen dabei zu sein und später beim Abfassen der Verfügungen oder Urteilsgründe mitzuwirken. Ich war 2x in der Woche an den jeweiligen Verhandlungstagen meines Ausbilders vor Ort und durfte die Verhandlungen begleiten. Hauptsächlich war mein Ausbilder für Verkehrs-, Kauf- und Mietrecht zuständig. Jede Woche habe ich Akten bekommen, die ich bearbeiten sollte. Dies hing immer vom Fall ab. Mal musste ich einen Aktenspiegel und ein Gutachten verfassen, mal das Urteil dazu schreiben.

Nachdem ich meine Arbeit erledigt hatte, haben mein Ausbilder und ich alles besprochen. Dabei war der Lerneffekt natürlich am besten. Am Anfang fiel es mir ehrlich gesagt nicht leicht, vom Gutachtenstil auf den Urteilsstil umzuschwenken. Aber mit ein bisschen Übung und der Hilfestellung meines Ausbilders gelang das ganz gut. Ich schätze, dass es so aber den meisten Referendaren und Referendarinnen geht. Wenn einem fast fünf Jahre lang der Gutachtenstil quasi eingeprügelt wird, dauert es eben ein wenig, bis man sich an den Urteilsstil gewöhnt. Wichtig ist, dranzubleiben!

Die Verhandlungen und das Aktenstudium waren sehr vielseitig und teilweise gab es richtig verrückte Fälle. Ich hatte das Gefühl, dass diejenigen, die bei uns in der AG am Amtsgericht waren, Akten mit geringerem Umfang und vielseitigem – teilweise eher examensrelevanten – Inhalten bearbeitet haben. Das ist aber nur meine persönliche Empfindung gewesen und wird in der Praxis sicherlich auch teilweise anders sein. Für mich war das Amtsgericht dennoch die bessere Wahl. Nicht nur, wegen der Nähe zu meinem Wohnort und der Zeitersparnis der Hin- und Rückfahrt, sondern auch, weil ich Einblicke in verschiedene examensrelevante Gebiete bekommen habe. Von Baurecht bis Erbrecht, Verkehrsunfällen bis Tierhalterhaftung war letzten Endes so gut wie alles dabei. Neben den spannenden Themen war es auch sehr interessant die verschiedenen Typen von Rechtsanwälten zu beobachten, sodass manchmal der jeweilige Prozessbeteiligte oder auch die Partei selbst interessanter war als der Fall an sich.

Highlight(s):

Meine persönlichen Highlights waren zum einen mein Einsatz als Dolmetscherin, zum anderen der Tag, an dem ich eine eigene Verhandlung leiten durfte.

Da der Dolmetscher die Verhandlung verpennt hatte und der zu vernehmende Zeuge nur kroatisch sprach, habe ich mich kurzerhand als Dolmetscherin angeboten, damit die Verhandlung stattfinden konnte. Das war auch für mich eine ganz neue und interessante Erfahrung.

Die meisten Referendare erhalten während ihrer Stationsausbildung die Gelegenheit entweder eine Zeugenvernehmung durchzuführen oder eine eigene Verhandlung zu leiten. Mein Ausbilder fragte mich irgendwann, ob ich eine Verhandlung leiten will. Obwohl ich am liebsten Nein gesagt hätte, antwortete ich mit Ja und bekam prompt einen Fall für die kommende Woche. Übers Wochenende durfte ich mich mit dem Diktiergerät vertraut machen und die Akte studieren. Da ich mir während der ganzen Verhandlungen meines Ausbilders, die ich mitverfolgt hatte, Notizen gemacht habe (wie leitet er die Verhandlung ein, wie belehrt er den Zeugen, wie ist der Ablauf, etc…), konnte ich mich relativ gut vorbereiten.

Ich dachte noch, dass der Fall glasklar ist und bin davon ausgegangen, dass die Verhandlung rund laufen wird. Tja, Pustekuchen. Letztlich wurde aus dem „easy“ Fall ein wirklich kurioses Ding, dass am Ende mein Ausbilder, der während der Verhandlung stets neben mir saß, kurz eingreifen musste, da es einfach zu komplex wurde. Aber ich durfte Zeugen vernehmen, Fragen stellen, diktieren und alles Weitere, was ein Richter eben so darf. Mit der Robe und an vorderster Front ist es nochmal etwas anderes, als brav daneben zu sitzen und stiller Zuhörer zu sein. Ich hatte aber sehr viel Spaß und würde es jederzeit wieder machen. Für die Verhandlung habe ich mir extra einen „Spickzettel“ mit den Notizen aus den vorherigen Verhandlungen erstellt, das ich stets neben mir liegen hatte und an dem ich mich orientieren konnte.

Das Einzige, das ich als „schwer“ empfand, war das Mitschreiben. Das habe ich wirklich unterschätzt! Bei meinem Ausbilder sah es immer so leicht aus 😊

Mein Zeuge hat zudem nicht gerade langsam geredet, sodass ich kaum mitgekommen bin. Ich habe ihn dann höflich gefragt, ob es möglich wäre, etwas langsamer zu sprechen, da ich nicht so schnell schreiben kann. Das hat er auch gut aufgenommen und sein Sprachtempo etwas reduziert. Generell dürft ihr die Anwesenden darum bitten, langsamer zu sprechen oder etwas zu wiederholen, wenn ihr etwas nicht verstanden habt. Ihr dürft auch Fragen stellen oder die Parteien unterbrechen, wenn diese vom eigentlichen Rechtsstreit abweichen (was bei mir auch kurz der Fall war). Ihr seid ja schließlich der/die Richter/in 😉 Und zur Not denkt immer dran: Der Ausbilder sitzt neben euch und kann im Falle des Falles jederzeit eingreifen.

Ansonsten waren auch die Parteien sowie deren Rechtsanwälte sehr geduldig mit mir und zeigten Verständnis, wenn ich etwas länger gebraucht habe. Ich fühlte mich zu keinem Zeitpunkt unwohl oder unter Druck gesetzt. Am Ende ging die Verhandlung zwei Stunden, die mir aber wie 30 Minuten vorkamen.

Von daher kann ich euch nur empfehlen: nimmt die Chance wahr, wenn euer Ausbilder euch danach fragt, ob ihr eine Verhandlung leiten oder eine Beweisaufnahme durchführen wollt! Es macht wirklich Spaß und ist die Erfahrung allemal wert. Wer weiß, wann ihr wieder die Gelegenheit dazu bekommt.

Sollte euer/eure Ausbilder/in nicht von selbst auf euch zukommen, sprecht ihn/sie am besten gegen Mitte der Station darauf an!

Wegen Corona war es leider nicht möglich in der kürze der Zeit mit einem Gerichtsvollzieher auf Vollstreckung mitzugehen. Solltet ihr die Möglichkeit dazu bekommen – nimmt sie wahr! Eine Kollegin hat es noch vor dem Lockdown geschafft und es nicht bereut 😉

Arbeitsumfang:

Der Arbeitsumfang hielt sich tatsächlich ganz gut in Grenzen. Das hing teilweise aber auch vom Ausbilder ab. Meiner versorgte mich wöchentlich mal mit mehr, mal mit weniger Akten. Anfangs saß ich eine gefühlte Ewigkeit dran, mit der Zeit und mit der Übung ging das dann auch immer schneller. Auch die Vor- und/oder Nachbereitungszeit der AG hielt sich ganz gut im Rahmen. Einmal wöchentlich AG für 4 Stunden – und dann auch noch von zu Hause aus – ist wirklich kein großer Zeitaufwand. Das eigenständige Lernen, sofern man sich bereits in der Zivilstation dazu aufraffen konnte bzw. wollte ist natürlich individuell.

Ich persönlich habe während des Einführungslehrgangs die Unterlagen vor- und nachbereitet und aktiv am Unterricht teilgenommen, um den Lerneffekt zu steigern. Das hat mir sehr gut geholfen. Was mir am meisten geholfen hat war es, das gelernte Wissen in der Praxis einzusetzen. Da merkt man dann auch erst so richtig, ob man die Materie verstanden hat oder nicht. Falls nicht: Wiederholen und nochmal anschauen! Für das materielle Recht bleibt zwar noch etwas Zeit, aber meistens fehlt es – so war es zumindest bei mir – an der Lust. Hat man das Urteil endlich mal fertig, will man sich mit allem anderen beschäftigen, außer Jura. Dennoch konnte ich vom Gefühl her das materielle Recht im Rahmen der Probeklausuren und des Aktenstudiums sowie den verfassten Urteilen wiederholen. Man ist ja schließlich irgendwie gezwungen, sich mit den materiellen Aspekten zu beschäftigen, sodass ich das als ausreichend empfand. Den Umgang mit den Kommentaren lernt man am besten durch Übung. So sieht man, bei welcher Norm was steht und wo man suchen muss. Das kriegt man alles mit der Zeit raus.

Tipps:

  • Nimmt mit, was ihr könnt
  • Genießt die Freizeit, die ihr (noch) habt
  • Ihr könnt euch vor der Station schon einmal mit der ZPO beschäftigen, ist aber absolut kein Muss
  • Wiederholung des materiellen Rechts schadet nicht (die habt ihr aber auch bei dem Verfassen von Urteilen oder der Bearbeitung von Akten, sodass auch das materielle Recht nicht zu kurz kommt – hängt natürlich auch vom Rechtsgebiet des Ausbilders ab)
  • Traut euch, eine Beweisaufnahme durchzuführen oder eine Verhandlung zu leiten! Es macht Spaß und tut sich gut im Stationszeugnis, wenn ihr später in die Justiz wollt.
  • Fragt nach, ob ihr mit einem Gerichtsvollzieher losziehen könnt.
  • Scheut euch nicht davor, Fragen zu stellen!
  • Übt frühzeitig den Umgang mit dem Kommentar
  • Habt Spaß 😊 

Sandra

|Rechtsreferendarin|Autorin|Ernährungsberaterin|Sportlerin|Weltenbummlerin|Leseratte|Essensliebhaberin| 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert