Die Wahlstation im Referendariat (BaWü)

Ein Erfahrungsbericht

Dauer: In Baden-Württemberg schließt sich die Wahlstation unmittelbar nach den schriftlichen Prüfungen an und dauert 3 Monate (in meinem Fall vom 01.07.-30.09.).

Ablauf: Meine schriftlichen Examensprüfungen (insgesamt 8 Klausuren) waren auf die ersten 3 Juniwochen verteilt. Zum 01.07. begann offiziell die Wahlstation und damit die letzte Station des Referendariats.

Je nachdem, welchen Schwerpunkt man – schon Monate im Voraus – gewählt hat, finden hier an den ersten Tagen der Station die Einführungsveranstaltungen statt. Bei uns liefen die Veranstaltungen online ab, sodass auch diejenigen, die ihre Wahlstation im Ausland absolvierten, daran teilnehmen konnten.

Die Station:

Ban-Jelačić-Platz, Zagreb

Ich absolvierte die Station in einer kleinen Anwaltskanzlei in Zagreb, Kroatien. Meine Ausbilderin ist kroatische Anwältin, betreibt jedoch in Kroatien als auch in Deutschland eine Kanzlei und wird für ihre Mandanten in den Schwerpunkten Erb-, Familien-, Zwangsvollstreckungs- und internationalem Privatrecht tätig. Vor allem die Schnittstellen zwischen kroatischen und deutschen Recht sind hier von Bedeutung, da fast alle Mandanten entweder aus Deutschland stammen und Bezug zu Kroatien haben, bspw. durch Nachlassgegenstände oder Erben, die sich dort befinden – oder andersrum.

Meine Aufgaben waren schnell klar: Kommunikation mit den deutschen Behörden, Schreiben verfassen, Telefonate führen etc. Auch durfte ich meine Ausbilderin vor Gerichten begleiten und feststellen, dass das kroatische Recht dem deutschen und österreichischem relativ ähnlich ist. Vom ersten Moment an wurde ich in das Geschehen miteinbezogen und durfte selbstständig arbeiten. Die Kommunikation erfolgte hauptsächlich auf Kroatisch, teilweise – vor allem bei juristischen Fachbegriffen – wurde deutsch geredet, oder Google Translator verwendet. Ich saß hauptsächlich mit der anderen Referendarin, die seit ca. 3 Jahren in der Kanzlei arbeitet, in der Kanzlei in Zagreb, während meine Ausbilderin sich überwiegend in Deutschland aufhielt und mit uns per Telefon korrespondierte. Im August herrscht bei kroatischen Gerichten eine Art „Sommerpause“, sodass in diesem Monat kaum etwas los war. Was nicht bedeutete, dass wir nichts zu tun hatten.

Meine Arbeitszeiten wurden auf 3 Tage pro Woche festgesetzt, wobei ich mal länger, mal weniger lang in der Kanzlei war. Meine Ausbilderin meinte, wenn es wenig Arbeit gibt, gehen wir eben früher Heim. Dasselbe gilt, wenn viel los war – wobei dennoch darauf geachtet wurde, uns pünktlich um 17 Uhr nach Hause zu schicken.

Generell war das Verhältnis sehr entspannt und locker. An meinem ersten Arbeitstag lud uns meine Ausbilderin zum Essen ein, damit wir uns alle besser kennenlernten. Schon im ersten Monat kam ich ganz gut wieder in die Sprache rein, was aber auch daran lag, dass ich am Wochenende entweder meinen Opa besuchte oder zumindest mit ihm (auf Kroatisch) telefonierte. Dafür bin ich bis heute besonders dankbar, da er während meiner Stationszeit leider von uns gegangen ist…

Ausblick aus meinem Apartment

Falls sich der ein oder andere fragen sollte, weshalb ich mich für genau diese Kanzlei in diesem Land entschieden habe, gab es für mich einige Punkte, die ausschlaggeben waren:

  • Meiner Familie nahe zu sein (deswegen Zagreb und nicht die schöne Adriaküste)
  • Meine Sprachskills verbessern
  • Ein schönes, nicht allzu teures Land
  • Die Chemie zwischen meiner Ausbilderin und mir hat von Anfang an gestimmt
  • Meine Ausbilderin und ihre Referendarin sprechen auch deutsch, sodass Verständnisprobleme nahezu ausgeschlossen waren und wir uns gegenseitig beim Üben der jeweils anderen Sprache helfen konnten
  • Gutes Essen, positive Mentalität der Einheimischen und gutes Wetter
  • Interesse an den Schnittstellen von deutschem zu kroatischem Recht

Da ich während der Wahlstation ein eigenes Apartment hatte und aus diversen Gründen nicht bei einem Familienmitglied untergekommen war, war ich die meiste Zeit – außer an manchen Wochenenden – allein. Wie ich damit umgegangen bin, was ich dabei gelernt, für mich persönlich mitgenommen und die Zeit (für mich) genutzt habe, habe ich in einem eigenen Beitrag festgehalten. Diesen kannst du hier nachlesen.

Für mich persönlich war die Zeit alleine sehr wertvoll. Auch ohne Auto unterwegs zu sein hatte seine Vorteile, da ich von der Stadt viel mehr sehen und erleben konnte, indem ich mit dem Fahrrad und zu Fuß unterwegs war. Ich lernte Leute im Fitnessstudio kennen und verbrachte noch eine schöne Zeit mit meiner Familie und Freunden, die ich sonst nur alle paar Jahre zu Gesicht bekomme.

Letztlich war die Station genau so, wie ich sie mir vorgestellt und erhofft hatte. Auch wenn sie leider etwas früher endete und das nicht gerade schön, blicke ich auf eine lehrreiche und spannende Zeit zurück und würde jederzeit wieder meine Wahlstation im Ausland absolvieren.

Mostar, Bosnien

Die Wahlstation ist jedenfalls die perfekte Gelegenheit dafür, einen Blick über den juristischen Tellerrand hinaus zu wagen und neben der Aussicht auf einen potentiellen Arbeitsplatz eine unvergessliche Zeit zu erleben.

Highlight(s): Ein Highlight in dieser Station war für mich definitiv der enge und freundschaftliche Kontakt zu meiner Ausbilderin und ihrer Referendarin. Teilweise fühlte ich mich nicht wie an meinem Arbeitsplatz, sondern wie Zuhause. Das lag vielleicht auch daran, dass ich zwei Mal bei meiner Ausbilderin daheim zum Essen eingeladen wurde und während sie frischen Fisch mit Mangold und Kartoffeln zubereitete, bearbeitete ich strafrechtliche Schriftsätze am Esstisch. Und natürlich habe ich meinen Kroatienaufenthalt dazu genutzt, einen kleinen Balkan Road-trip durch Serbien, Bosnien und Kroatien zu machen.

Tipps:

  • Kümmert euch rechtzeitig um eure Wahlstation (insbesondere Behörden wie das Auswärtige Amt haben frühe Bewerbungsfristen)
  • Falls ihr die Station im Ausland absolvieren wollt, macht euch frühzeitig Gedanken um die Finanzen, sofern Transport, Unterkunft, andere Lebenserhaltungskosten usw. nicht von eurer Ausbildungsstelle übernommen werden
  • Informiert euch bei eurer Stammdienststelle über die Möglichkeit vom Erhalt von Umzugskosten- und Trennungsgeld, falls ihr euch im Ausland befindet und im Inland weiter Miete zahlen müsst (Für alle Referendare aus BW, hier die relevanten Infos inkl. Antragsformulare: https://lbv.landbw.de/themen/dienstreisemanagement/trennungsgeld )
  • Klärt bei einem Auslandsaufenthalt den (Kranken-)Versicherungsschutz ab
  • Nutzt die Station dazu, euer Wissen zu vertiefen, Neues kennenzulernen, berufliche Kontakte (ggf. für euren Berufseinstieg) zu knüpfen und vor allem: habt Spaß und genießt die Zeit nach den schriftlichen Prüfungen!
  • Nutzt die freie Zeit ggf. schon einmal dazu, um Aktenvorträge zu üben (ich weiß, die Mündliche ist in weiter Ferne, doch früh übt sich)
  • Die Wahlstation bietet euch, sofern ihr genug Freizeit neben eurer Ausbildung habt, die Chance, euren Hobbies nachzugehen oder neue zu entdecken (eine neue Sprache lernen oder vertiefen, Reisen, Lesen, Gärtnern, ein Instrument spielen, uvm.)
  • Auch wenn das Examen noch nicht ganz rum ist, genießt die Ruhe vor dem letzten Sturm und gönnt euch ausreichend Auszeit! Das Arbeitsleben holt euch früh genug ein.

Zu guter Letzt habe ich eine Pro- und Contra-Liste bzgl. eines Auslandaufenthalts erstellt, die ich gerne mit euch teilen will:

Pro AuslandContra Ausland
– Neue Sprachkenntnisse erwerben bzw. alte vertiefenNeue Kultur kennenlernen
– Einblick in ein anderes Rechtssystem erhalten
– Neue Kontakte knüpfen
– Arbeit mit Urlaub kombinieren
– Kein Zeitverlust, da die Erfahrung während der regulären Ausbildungszeit erfolgt
– Kann sich gut im Lebenslauf machen
– Ggf. bessere Ablenkung bzgl. der schriftlichen Prüfungen
– Evtl. zusätzliche Kosten
– Organisationsaufwand
– Da man nicht alle Lernmaterialien mitnehmen kann, kann die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung ggf. nicht so gut erfolgen wie vor Ort
– Kein Besuchen der AG, wenn diese nicht online erfolgt
– Man knüpft keine Kontakte für Beziehungen im Inland (es sei denn, die Ausbildungsstelle ist ohnehin international tätig)
– Entfernung von Freunden/Familie

Wie waren eure Erfahrungen in der Wahlstation? Wo würdet ihr sie am liebsten absolvieren bzw. wo habt ihr sie absolviert? Hinterlasst mir gerne einen Kommentar 😊

Sandra

Rechtsreferendarin|Autorin|Ernährungsberaterin|Sportlerin|Weltenbummlerin|Leseratte|Essensliebhaberin|

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